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Von Dr. Cornelis Bockemühl

Die Balkenwaage 

Eine Balkenwaage kann je nach Bauweise sehr klein und fein oder gross und robust sein, je nachdem was man damit abwägen möchte. Eins ist aber entscheidend: Um den Drehpunkt herum muss sie so empfindlich wie möglich sein, um ihre Aufgabe wahrnehmen zu können. Das Zünglein an der Waage zeigt an, ob sie im Gleichgewicht ist. Ist es blockiert oder hält es jemand fest, dann funktioniert sie nicht mehr. 

Die Balkenwaage sieht man auch oft in allegorischen Darstellungen: Die blinde Justitia hält sie in der Hand. Damit wird ausgedrückt, dass die präzise Abwägung von Recht und Unrecht ohne Ansehen der betreffenden Personen geschehen soll: reich oder arm, Mann oder Frau, Christ oder Muslim usw., denn all das soll in der Rechtsprechung keine Rolle spielen. Die Waage kann auch als Symbol für die von Rudolf Steiner angeregte Idee einer sozialen Dreigliederung verstanden werden. Darauf werde ich weiter unten zurückkommen.

 

Vorbemerkungen und Dank 

Die folgenden Gedanken sind im Rahmen der Corona-Krise entstanden. Das Ringen um eine realistische medizinische und gesellschaftliche Einschätzung hat mich wie viele andere sehr beschäftigt. Hier soll es um diese Dinge nicht inhaltlich gehen, sondern vielmehr um die Frage, worin die innere Herausforderung eines solchen Ringens besteht und wohin es führen kann, wenn man diesen Weg noch weiter verfolgt. Anstatt sie ans Ende zu verbannen möchte ich gleich mit grossem Dank auf die Quellen verweisen, die mir bei dieser Fragestellung wichtig geworden sind. 

Klein und unscheinbar kommt ein Büchlein daher, welches Prisca Würgler gerade erst zusammengestellt und herausgegeben hat: Unser Jahr unter Corona. Menschen, die auf jeweils wenigen Seiten wesentliche, ganz persönliche Erfahrungen schildern, die sie in dieser verrückten Zeit machen konnten, mussten oder durften. Die Beispiele geben Kraft, den Mut niemals sinken zu lassen, und in mir weckten sie einen Traum: Wie schön wäre es doch, mit diesen und vielen anderen Menschen zusammen an einer Schweiz mitzubauen, wo menschliche Freiheit noch ganz anders und viel tiefer verankert ist als heute schon! 

Eine Ansprache des mutigen und klar sehenden deutschen Arztes Dr. med. Thomas Külken habe ich mir in den vergangenen Monaten immer wieder zu Gemüte geführt. Im zweiten Teil zitiert er den deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der sich aus seinem evangelisch-christlichen Hintergrund heraus für Menschlichkeit, Religionsfreiheit und gegen die Judenverfolgung engagiert und dafür sein Leben gelassen hat. Er spricht davon, wie die Quelle von Freiheit und Menschlichkeit im Herzen jedes einzelnen Menschen zu finden ist. Viele schaffen es, in schwerer Zeit diese innere Befreiung aus eigener Kraft zu realisieren, viele aber auch nicht. Mir scheint, dass diese Gedanken in der aktuellen Zeit ganz erstaunlich wichtig und treffend sind.

 Im ersten Teil erklärt Thomas Külken die Grundideen der sozialen Dreigliederung nach Rudolf Steiner. Diese waren mir lange bekannt und einleuchtend, nur dass ich mir nie wirklich vorstellen konnte, wie man da jemals hin kommen könnte. Und überhaupt: Haben wir in der Schweiz nicht sowieso schon lange die beste Demokratie der Welt? Was soll daran verkehrt sein?

Zu dieser Frage hat mir eine kurze Präsentation ein Stück weiter geholfen, die sich auf der Website von Demokratie Schweiz gleich oben auf der Hauptseite befindet. Der geschilderte Weg kommt ohne Revolution oder Great Reset aus, aber gewiss nicht ohne Mühe und Anstrengung. Er wäre in der Schweiz mit den bestehenden demokratischen Mitteln grundsätzlich gangbar, wenn auch sicherlich nicht einfach. Starke Widerstände wären zu erwarten, aber das grösste Hindernis dürfte meines Erachtens doch ein inneres zu sein: Es wird im Grunde die von Bonhoeffer charakterisierte innere Befreiung vieler einzelner Menschen vorausgesetzt. Womit ich wieder beim Büchlein von Prisca Würgler wäre: Es beweist für mich, dass Menschen mit der nötigen inneren Stärke in der Schweiz durchaus zu finden sind!

Der Mut zum eigenen Urteil 

Alex Baur schreibt in seinem Beitrag zum erwähnten Büchlein von Prisca Würgler: Es dreht sich um die Freiheit – die Freiheit, die alle besingen, in Wahrheit aber fürchten, wie der Teufel das Weihwasser. Warum denn fürchten? 

Immer wieder einmal habe ich in dieser Krise gehört: Ich kann doch nicht beurteilen, wer hier Recht hat! Wie gefährlich die Krankheit tatsächlich ist, ob die verfügten Massnahmen verhältnismässig und notwendig sind, ob ich tatsächlich eine Impfung brauche, ob diese mehr schadet als nützt: Wie soll ich das beurteilen? Ich verstehe nichts von diesen Dingen, da höre ich lieber auf die Experten! 

Aber habe nicht auch ich genau dies getan? Ich würde behaupten, dass ich auf sehr viel mehr Experten gehört habe als alle diejenigen, die mir solches gesagt oder angedeutet haben. Darum kann es also in Wirklichkeit nicht gehen – im Gegenteil. Von einer anderen Bekannten habe ich sinngemäss gehört: Ich leide sehr unter den Massnahmen, aber wenn ich jetzt auch noch recherchieren würde, dann würde ich noch vollends verrückt! Das Problem ist eben, dass die Recherche zu Einsichten führt, und damit entsteht der starke Drang, danach auch zu handeln. Spätestens dann stösst man aber an! Recherchieren, selber denken und urteilen ist also ein Wagnis und erfordert Mut. 

Mut nach aussen (wie reagieren meine Mitmenschen?) und Mut nach innen. Denn wer nach gründlicher Prüfung schliesslich selber urteilt kann am Ende noch immer irren: Bin ich bereit, dann auch für die Folgen meines eigenen Irrtums die Verantwortung zu übernehmen? Wie viel einfacher ist es doch, das Urteilen zu delegieren an eine Instanz, die dann auch die Verantwortung übernimmt, beispielsweise eine staatliche Behörde. 

Dieses Delegieren ist allerdings eigentlich keine Lösung, sondern nur eine schlechte Gewohnheit! Denn was heisst denn Verantwortung tragen im Falle einer nutzlosen, aber gefährlichen sogenannten Impfung, die man sich nur verabreichen lässt weil man nicht anecken möchte und nicht selber urteilen? Die Behörde trüge die Verantwortung im Falle eines Schadens, aber was tut sie denn konkret, wenn ein solcher eintritt oder ein Mensch an der Impfung stirbt? Vor allem erst einmal abstreiten, und im besten Fall vielleicht ein paar bedauernde Worte äussern, während die Betroffenen je nachdem ein Leben lang an den Folgen zu tragen haben.

 

Wer ist das Volk?

Das Abschieben der Verantwortung entspricht allerdings genau genommen auch nicht unserem Selbstverständnis als Bürger der Schweiz, denn das lautet: Das Volk ist der oberste Souverän. Und wir meinen damit zunächst einmal selbstverständlich uns alle! Aber wie sieht das in der Praxis aus? Wollen wir als einzelne Bürger wirklich auch persönlich die Verantwortung tragen für all das was die von uns eingesetzten Behörden tun? Können wir es? Ich habe als Einmannfirma Kunden in Indonesien, aber ich habe keine Ahnung, was die Folgen des Handelsvertrags zwischen der Schweiz und Indonesien für meine eigene Firma sind, über den wir vor ein paar Monaten abgestimmt haben.

Wenn aber die einzelnen Menschen der Aufgabe eines Sourveräns nicht wirklich gewachsen sind, weil sie die Verantwortung am Ende doch nicht tragen wollen oder können und folglich lieber delegieren: Ist vielleicht der Schuh, den wir uns mit unserer freiheitlichen Verfassung mit all ihren Volksrechten angezogen haben, einfach eine Nummer zu gross? Bräuchten wir vielleicht eine Anpassung dieser Verfassung in dem Sinne, dass man die Meinungen der Menschen zwar hier und da noch befragt (was man nach allen Regeln der repräsentativen Umfragekunst ja durchführen könnte!), dass man aber das Urteilen, Handeln und das Tragen der Verantwortung von Anfang an den Autoritäten überlässt? Wollen das nicht im Grunde genommen auch alle die Menschen, die uns zur treuen Befolgung behördlicher Vorgaben auffordern?

Dass es genau so sei behaupten jedenfalls die Befürworter eines Great Reset. Dieser würde uns die Bürde der Verantwortung für unser Urteilen und Handeln abnehmen, und niemand müsste mehr mutig sein. Und ist damit nicht auch noch immer das Volk der oberste Souverän gemäss der aktuellen Praxis in der Schweiz, wo die Autoritäten in Abstimmungen das Volk zwar zu allem und jedem befragen, dann aber weitgehend tun und lassen was sie wollen?

Die Frage ist eben: Wer ist das Volk? Louis XIV hat diese Frage mit seinem berühmten Ausspruch: «L’état, c’est moi!» beantwortet. Wenn nun aber 1000 Leute auf die Strasse gehen und rufen: «Wir sind das Volk!»: Ist das dann so viel weniger anmassend? Doch sicher nur graduell, denn es gibt in der Schweiz ja noch Millionen anderer Bürger! Ist nicht vielleicht die Behörde, die durch von uns demokratisch gewählte Volksvertreter eingesetzt wurde dann doch viel eher die Stimme des Volks?

Wenn nun aber diese Behörde anfängt, in unsere persönlichen Freiheiten in einer Art und Weise einzugreifen wie es gerade jetzt aktuell geschieht? Das Problem ist doch, dass das Volk eben letztlich nur ein Abstraktum ist, welches selber weder urteilen noch Verantwortung übernehmen kann. Dies kann nur entweder eine Regierung mit ihren Behörden, egal ob gewählt oder nicht, oder das einzelne Individuum: Es sieht ganz danach aus als müssten wir uns entscheiden!

 

Der Mut zum Wandel

Die WHO und ihre Förderer wollen die Verantwortung für die Gesundheit der Menschen weltweit zentralisieren, d.h. so weit weg vom einzelnen Individuum ansiedeln wie nur irgendwie möglich. HARMOS will im Schulwesen die Verantwortung von den Gemeinden und Kantonen weg zu höheren Instanzen verlagern, und die Bestrebungen der Bologna-Reformen und der Pisa-Studien zielen auch im Bildungswesen auf eine transnationale Ebene. Der Great Reset soll zu all dem und noch viel mehr einen starken Rahmen abgeben.

Wer das alles nicht will muss konsequenterweise in die entgegengesetzte Richtung arbeiten. Er muss so weit wie möglich Befugnisse, die bisher noch beim Staat liegen, an die einzelnen Menschen übergeben! Das gilt für alle Länder, aber speziell in der Schweiz hätten wir – noch? – eine Menge direktdemokratische Mittel, die wir zu diesem Zweck einsetzen könnten. Wie sähe das konkret aus? Nicht als Masterplan, aber gewissermassen als Kompass kommt hier für mich die soziale Dreigliederung ins Spiel.

Wir stehen an einem Scheideweg. Das Konzept des Volks als oberster Souverän hat uns bis hierher recht gut gedient, aber im aktuellen historischen Augenblick sind wir gefordert, den unscharfen Begriff des Volks klarer zu formulieren:

Ist es das Volk, das sich durch Obrigkeiten vertreten lässt, die zunehmend selber darüber entscheiden, was für dieses Volk gut ist und was nicht?

Oder ist es das Volk als Inbegriff für eine Vielzahl von freien und eigenverantwortlichen Individuen, die ihre Verhältnisse zueinander selber regeln?

Um die erste Antwort zu akzeptieren müssen wir nichts weiter tun. Meinen wir allerdings letztere Antwort, dann brauchen wir eine grosse Portion Mut zum selber gestalteten Wandel! Denn in einem Punkt hat Klaus Schwab wohl sicherlich recht: Es gibt kein zurück – der Weg gabelt sich hier.

 

Die Balkenwaage als Bild der sozialen Dreigliederung

Das Konzept der sozialen Dreigliederung werde ich hier nicht darstellen: Wer es noch nicht kennt, möge sich die Präsentation auf der Website von Demokratie Schweiz anschauen, und darüber hinaus gibt es reichlich Literatur dazu. In der Präsentation wird kurz und knapp dargestellt, was im obigen Sinne zu tun ist: Letztlich alles, was nicht im engeren Sinne wirklich zum Rechts- und Sicherheitswesen gehört, muss dem Staat entzogen und unabhängig gemacht werden, und zwar nach zwei Seiten hin: einmal zum unabhängigen Geistesleben, einmal zum unabhängigen Wirtschaftsleben hin.

Auch dies kann man sich mit dem Bild der Balkenwaage veranschaulichen:

Auf der einen Waagschale liegt das Geistesleben mit allem was dazu gehört, also Wissenschaft, Kunst und Religion, was dann implizit auch das Bildungswesen, das Gesundheitswesen und so manches andere im Kern mit umfasst. Das sind alle die Dinge, wo die Kompetenz des Einzelnen gefragt und entscheidend ist. Jeder Einzelne muss darum hier auch entscheiden können.

Auf der andern Waagschale liegt das Wirtschaftsleben, mit Handel, Produktion, Finanzwesen und allem was sonst noch so dazu gehört, aber auch die wirtschaftliche Seite von Institutionen des Bildungs- oder Gesundheitswesens. Das sind alle Bereiche, wo jeder immer nur für andere tätig ist und wiederum von den Produkten anderer lebt. (Wer kann schon seine selber geschriebene Software dann auch noch essen?) Betroffene müssen hier zu immer wieder neuen Verabredungen kommen.

Das Rechtsleben steht in der Mitte, wo sich auch das Zünglein an der Waage befindet. Dort wäre weiterhin der Staat zu Hause, der aber neben dem Rechtswesen und gewissen Sicherheitsfunktionen keine Aufgaben mehr hätte: Justitia muss blind sein und darf nicht selber Hand anlegen! Hier werden auf demokratischem Wege Entscheide gefällt, wo jeder mitsprechen kann und soll, da jeder Mensch gleichermassen einen Sinn für Recht und Unrecht hat. 

Gegenüber der aktuellen Situation ist es von grösster Wichtigkeit, dass die beiden nicht zum Rechtsleben gehörenden Bereiche, also das Geistes- und Wirtschaftsleben, in der Mitte nichts mehr zu suchen haben. Sie würden sonst dazu neigen, das empfindliche Zünglein zu blockieren und die Waage damit unbrauchbar zu machen. Durch das Bild der Waage wird zusätzlich zum Ausdruck gebracht, dass es auch nicht reicht, nur entweder das Geistes- oder das Wirtschaftsleben zu verselbständigen: Es müssen notwendigerweise beide sein. 

Selber liegt mir als Wissenschafter der Gedanke eines freien Geisteslebens, inklusive Bildungswesen, sehr nahe, denn es ist ja völlig klar, dass die ehrliche wissenschaftliche Suche nach Wahrheit sich nicht mit staatlicher oder wirtschaftlicher Einflussnahme verträgt. Aber soll tatsächlich auch die Wirtschaft unabhängig werden? Braucht es da nicht doch ein gewisses Mass an staatlicher Regulierung, um die Auswüchse eines alles überwuchernden Kapitalismus zu verhindern? Vielleicht. Oder sollte der Staat nicht doch gewisse Dinge gleich ganz übernehmen, um solche Gefahren von Anfang an zu bannen? 

Die Antwort auf diese Frage fällt mir zunächst schwerer, aber die aktuelle Krise hat bei mir hier durchaus klärend gewirkt: Es dürfte wohl klar sein, dass wir ohne die viel zu enge Verflechtung zwischen Staat und Wirtschaft da niemals hinein geraten wären!

Was muss denn ein Staat tun, dem wir zwar die Verantwortung für unsere Gesundheit übergeben haben, dessen gewählte Vertreter aber nie ganz die dazu nötige Sachkompetenz haben können? Sie können es darum nicht, weil sie als Volksvertreter niemals im gleichen Masse mit der Materie vertraut sind wie jemand, der jeden Tag tätig ganz darinnen steht. Was muss und wird dieser Staat also tun? Er wird Menschen befragen und sich als Berater suchen, die eben diese volle Sachkenntnis mitbringen, beispielsweise in der Pharmaindustrie. Diese Industrie ist aber nicht von der Bevölkerung mandatiert, und sie verfolgt aus sich heraus auch ganz andere Ziele. Sie wird vom Staat darum eine Gegenleistung fordern, die ihren Bestrebungen nützt, und das ist alles was ihre Position gegenüber der Konkurrenz stärkt, bis hin zum Monopol. Da hat der Staat tatsächlich sehr vielfältige Möglichkeiten, die eine private Firma aus sich heraus nicht haben kann!

Man spricht von Filz, Lobbyismus oder Korruption, und man kann sich klar machen, dass diese eine ziemlich notwendige Folge davon sind, dass wir als Bürger in gewisser Weise den Staat überfordern. Auf lokaler Ebene, wo jeder jeden kennt, mag das zum Teil noch funktionieren, aber auf höheren Ebenen dann sehr schnell nicht mehr. Die Folge ist, dass dann tatsächlich nicht der Staat die Exzesse der Wirtschaft zügelt, sondern vielmehr die Wirtschaft den Staat dazu missbraucht, überhaupt erst richtig exzessiv zu handeln. 

Kurz und im Bild der Balkenwaage: Man kann sie zwar scheinbar dadurch ins Gleichgewicht bringen, dass man das Zünglein festhält, aber damit wird nicht wirklich etwas erreicht! Exzessives wirtschaftliches Handeln darf das soziale Leben wirklich nicht überwuchern, aber der Staat ist nicht die Instanz, der man die Aufgaben nur einfach übergeben muss, damit eben dies nicht geschieht. Er würde (und wird!) dadurch nur umgekehrt selber instrumentalisiert, während seine Zünglein-an-der-Waage-Funktion verloren geht.

 

Das Schulwesen als Beispiel

Das Schulwesen wird in der Schweiz vom Staat geführt. Ein paar Schulen in privater Trägerschaft werden im Grunde nur toleriert, was sich schon darin ausdrückt, dass bei kantonalen Abstimmungen zur Frage nach einer freien Schulwahl sich Mehrheiten von um die 80% dagegen ausgesprochen haben. Die weit herum geteilte Befürchtung ist, dass es zu einer sozialen Spaltung führen würde, wenn man diesen Bereich von der staatlichen Führung auch nur ein wenig mehr entkoppeln würde. Ein völlig vom Staat getrenntes Bildungswesen würde gemäss dieser Befürchtung dazu führen, dass wir ein paar Edelschulen für Reiche hätten, mit Glück ein paar wohltätigen Schulen für Ärmere, und einige würden womöglich ganz auf Schulbildung verzichten müssen, denn um wirklich konsequent zu sein müsste man natürlich auch die allgemeine Schulpflicht abschaffen. Diese wurde ja ursprünglich in einer Welt eingeführt, wo die Bauern im Dorf nicht einsehen wollten, dass Bildung auch im Kuhstall fruchtbar werden kann.

Der Mut zum Wandel hin zur Eigenverantwortung würde allerdings bedeuten, dass man auch noch ganz anders denken könnte. Eigenverantwortliche Menschen wären ja in der Lage, die Schulen, die ihrer Ansicht und Einsicht nach fehlen, selber zu gründen! Natürlich nicht jeder für sich alleine: Man würde sich zusammenfinden.

Dass es sich hier nicht um eine Utopie handelt, sieht man schon daran, dass gerade in der Schweiz schon lange eine ganze Reihe von Schulen existiert, die nicht als gewinnorientierte Eliteschulen, sondern als öffentliche Schulen in privater Trägerschaft konzipiert sind. Meine eigenen Kinder besuchen eine solche Schule, wo das Schulgeld auch nicht pro Kind, sondern pro Familie erhoben wird. Der konkrete Beitrag ist dabei vom Einkommen abhängig. Dass dies dennoch für viele Familien finanziell schwierig ist liegt vor allem daran, dass man ja daneben mit den Steuern auch noch ein zweites Schulsystem mitfinanzieren muss.

Die hier vorgebrachten Beispiele sind nur Verständnishilfen, die mir selber geholfen haben, die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Wandels in Richtung auf eine soziale Dreigliederung besser zu verstehen. Die konkrete Ausgestaltung kann nicht zum voraus bestimmt werden: freie Menschen werden sie aus der jeweiligen Situation heraus selber in die Hand nehmen müssen!

 

Durch Gehorsam wird niemand frei!

Die Corona-Krise wird genau dann überwunden sein, wenn eine genügende Zahl von Menschen die erste Mutprobe besteht und sich zu einem eigenen Urteil und zur Eigenverantwortung durchringt, auch entgegen den gefährlichen und gesundheitsschädigenden Anweisungen der Behörden. Das kann schneller gehen oder länger dauern, aber ohne dies kann ich keinen Ausweg erkennen: Durch Gehorsam wird niemand frei!

Um nicht erneut in ein paar Jahren in eine vergleichbare oder noch schlimmere Krise zu stürzen ist allerdings noch eine zweite Mutprobe gefragt: Der Mut zum gesellschaftlichen Wandel und zur Verselbständigung derjenigen Lebensbereiche, die nicht wirklich staatliche Aufgaben sind, im Sinne der sozialen Dreigliederung. Denn diese ist im Kern die Gesellschaftsform der freien, urteils- und verantwortungsfähigen Menschen. Sie ist kein fertiges Rezept, sondern nur eine Richtschnur. Wie sonst nirgendwo auf der Welt hätten wir hier in der Schweiz die dazu nötigen demokratischen Mittel zu einem solchen Wandel schon jetzt: Wir brauchen nur den Mut, ihn auch zu wagen und zu gestalten. Es geht darum, das Zünglein an der Waage endlich loszulassen, damit der Staat nicht mehr zur Bedrohung werden kann, sondern ganz im Gegenteil seine wahre Aufgabe erst richtig findet, für Gerechtigkeit zwischen den Menschen zu sorgen.

Speziell in der Schweiz gilt es, zu verstehen, dass unsere beste Demokratie der Welt weiter entwickelt werden muss um nicht verloren zu gehen!

Abschliessen möchte ich mit einem Satz, der mir wahrhaft jedes Mal das Herz erhebt wenn ich ihn wieder höre: Non, nous ne sommes pas un problème, nous sommes le monde de demain! (Deutsch: Nein, wir sind nicht ein Problem, wir sind die Welt von morgen!). Dieser Satz stammt aus einem Lied der französischen Gruppe HK saltimbankiv, von der auch die «Freiheitshymne» des Corona-Massnahmen-Widerstands stammt, die inzwischen in immer mehr Ländern in Europa angekommen ist: Danser encore. Ob dieses morgen tatsächlich schon morgen Tatsache wird oder erst in einigen Jahren hängt nur davon ab, ob genügend Menschen sich im oben skizzierten Sinne zusammen finden werden. Dass es sich aber gelegentlich verwirklicht hoffe und wünsche ich vor allem für meine Kinder.

Quellen:

Dr. Thomas Külken Ansprache – 18. Oktober 2020

Vortrag von Dr. Thomas Külken in Textform – 9. August 2021

HK – Dis-leur que l’on s’aime, dis-leur que l’on sème (Officiel) – 22. März 2021

Zum Autor: Cornelis Bockemühl ist von der Ausbildung her Geologe und beruflich zunehmend in der Informatik tätig geworden. Nach dem Doktorat zunächst Mitarbeit bei der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum, dann viele Jahre im Rohstoffabbau in der Zementindustrie tätig und heute im gleichen Bereich selbständig. Zur Zeit anlässlich der Corona-Krise aktiv im Rahmen von «Aletheia – Medizin und Wissenschaft für Verhältnismässigkeit».

Hinweis: Dieser Text wurde am 11. August 2021 auf der Webseite www.corona-transition.org erstmals veröffentlicht.