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Von Matthias Wiesmann

Im Februar 2021 verliess Michel Seiler die Grüne Partei und die Fraktion im Kantonsparlament. Michel Seiler ist ein begabter Pädagoge, der sich sein Leben lang mit Jugendlichen in schwierigsten Situationen beschäftigt hatte. Für sie hat er im Berner Voralpengürtel mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehrere Bauernhöfe aufgebaut, die solche Jugendliche aufnehmen, wo sie ausgebildet werden und wo sie arbeiten können.

Die Zeitung «Der Bund» schrieb am 24.2.21: «Seinen Schritt begründete er damit, dass auch die Grünen im Dezember 2020 das neue Gesetz für Kinder mit besonderem Förder- und Schutzbedarf (KFSG) angenommen haben. Dieses sieht vor, dass die Hilfe für diese Kinder im Kanton Bern künftig aus einer Hand gesteuert und finanziert wird. Seiler war im Rat mit einem Rückweisungsantrag klar gescheitert. Er wollte ein Gesetz, das die Kinder finanziert und nicht die Angebote, also eine Subjektfinanzierung.»

In der Vergangenheit gab es nur die sogenannte Objektfinanzierung, das heisst, dass der Staat Beiträge an das Budget solcher Institutionen leistete, wodurch entsprechende Anerkennungs- oder Nichtanerkennungsvorgänge, mithin die staatliche Bürokratie ein grosses Gewicht erhalten. Mit der Subjektfinanzierung wird das Gewicht zu den Individuen selber (oder ihren Erziehungsverantwortlichen) verlagert. Selbstverständlich gibt es weiterhin staatlich formulierte Anforderungen an Wohn-, Unterrichtsräume usw. Gerade bei Jugendlichen kann die Beteiligung an der Entscheidung für eine Institution bereits ein Schritt des pädagogischen Prozesses sein.

Dass die Subjektfinanzierung nicht zuletzt Dank dem Druck von Behindertenverbänden an Boden gewinnt, kann durchaus als epochaler Schritt angesehen werden. Sie bestehen darauf, dass Behinderte nicht länger als Objekte behandelt werden, über die verfügt werden darf. Dieser Schritt scheint im übrigen (Aus-) Bildungswesen noch weit entfernt zu sein. Nur auf Hochschulstufe und Teilen der Berufsausbildung gibt es freie Schulwahl. Die staatliche Schulorganisation war zwar durchaus ein historischer Schritt im Rahmen der Emanzipation der Gesellschaft von religiöser Beherrschung. Dieser ist längst vollzogen und die faktisch (d.h. ökonomisch) alternativlose Einweisung von Kindern in Quartierschulen verbleibt objektiv ein Vorgang der Verfügung über Kinder und Eltern als Objekte.

Um den Individuen bzw. Bildungssubjekten mehr Souveränität und Wahlfreiheit zu geben, wird da und dort das Konzept des Bildungsgutscheins diskutiert. Eine gewisse Rolle spielt es beispielsweise im Kanton Luzern. Wahlfreiheit entsteht aber nur, wenn ein genügend grosses Spektrum an Wahlmöglichkeiten besteht. Verschiedene Volksabstimmungen haben gezeigt, dass es die Idee einer freien Schulwahl beziehungsweise nur schon von staatlichen Beiträgen an Schüler an nichtstaatlichen Schulen sehr schwer hat. Was der Männerchor in der Nationalhymne eben noch pathetisch als Freiheitsideal besungen hatte, wandelt sich umgehend in ein «da könnte ja jeder kommen». Und es wird deutlich, dass dem Bürger im «freien Teil» der Welt herzlich wenig Urteilsfähigkeit zugetraut und zugestanden wird.Deshalb ist es sinnvoll, vielleicht einstweilen an wenigen Stellen Experimentier- und Erfahrungsmöglichkeiten mit freier Bildungswahl, d.h. mit Subjektfinanzierung und Bildungsgutscheinen zu schaffen, um erfahrbar zu machen, inwiefern und ob elitäre Bevormundung durch staatliche Funktionäre berechtigt oder zu verwerfen ist.

Nachtrag: An dem Tag, an dem ich zu diesem Thema geschrieben habe, stellte die Zürcher Kantonsregierung ein Konzept der Subjektfinanzierung vor, über das in der NZZ am 9.4.21 unter dem Titel «Mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung» berichtet wurde. (Derweil verbleiben Menschen ohne Behinderung objektfinanziert unter staatlicher Verwaltungshoheit.)

Matthias Wiesmann veröffentlichte den Artikel ursprünglich auf seinem Blog http://matthias-wiesmann.ch. Auf diesem Blog finden sich weitere Artikel zu gesellschaftlichen Themen.