Interview mit Matthias Wiesmann, Frauenfeld, 11. Juli 2025

IH: Lieber Matthias,

Wir treffen uns nach zwei Jahren erst zum zweiten Mal und es scheint mir viel zu lange her. In diesen zwei Jahren ist viel passiert. Das letzte Mal hatten wir unter anderem die AHV (Alters- und Hinterbliebenen Versicherung) als Thema und nun schaffe ich es endlich dein Buch über die Coopera zu lesen. Inzwischen haben wir eine 13. AHV Rente in einer Volksabstimmung angenommen und mind. zwei weitere Abstimmungen über die AHV durchgeführt.

Du hattest in unserem letzten Gespräch festgehalten:

«Als sich in den 1980er Jahren in der Schweiz abzeichnete, dass ein Pensionskassen- Obligatorium entstehen würde, wurde im Hinblick darauf 1984 die CoOpera Sammelstiftung begründet. Eine Pensionskasse (In der Schweiz= 2. Säule = Kapitaldeckungsprinzip) ist eigentlich ein Versicherungs- und Anlageunternehmen. Das Prinzip der CoOpera ist aber, keine Börsenspekulation zu unterstützen und stattdessen ausschliesslich auf Immobilien- und Kreditverzinsung zu setzen. Aus Sicht der Dreigliederung hätte man zur Altersversorgung auch einfach die AHV vergrössern können. Im Grunde genommen könnte man die AHV verdreifachen und sich die ganzen Verwaltungskosten und Honorare der Pensionskassen sparen. Wie ich in einem (nicht veröffentlichten) Leserbrief an die NZZ gezeigt habe, sind die Leistungen des BVG etwa 30-mal teurer als diejenigen der AHV (auf den Rentenfranken heruntergerechnet).»

IH: Die Coopera ist aber weit mehr geworden als eine Pensionskasse. Vor allem hat die Coopera viele Projekte in der Realwirtschaft unterstützt, wie du im Untertitel deines Buches schreibst. Ich lese auf S. 95 über die Beteiligungsgesellschaft als Idee: «Mit der Gründung einer Finanzgesellschaft soll nicht nur das beidseitige Bedürfnis der Vermittlung/ Zusammenführung von Kapital und Initiative abgedeckt werden, sondern hauptsächlich die Einführung von assoziativen Verhandlungen und Verbindungen als eine Art Geburtshelfer ermöglicht bzw. gefördert werden.»1 Was heisst das und wo steht dieses Projekt?

MW: Mit der Coopera Beteiligungsgesellschaft wollten wir uns – wie es der Name sagt – am Eigenkapital von Unternehmen beteiligen und zwar im Hinblick auf die Förderung assoziativer Strukturen. Eine Beteiligungsgesellschaft verlangte keine Zinsen, sondern Dividenden, d.h Erfolgs- bzw. gewinnabhängige Beträge. Diese können stark schwanken. Der Bereich CoOpera Leasing sorgte für gute Beiträge, die andere, ausbleibende Dividenden ausglichen.

IH: Kannst du kurz charakterisieren worin sich die Coopera von anderen Rentenversicherungen grundlegend heute unterscheidet? Gibt es deines Wissens heute ähnlich innovative Rentenversicherungen?

MW: Hauptsächlich CoOperas Setzen auf die Realwirtschaft unterscheidet sie von anderen Pensionskassen. Damit wird das Investieren in die reine Finanzwirtschaft an den Börsen umgangen. In der gleichen Konsequenz wie CoOpera macht das meines Wissens (bis vor 10 Jahren, als ich dort aktiv war) sonst niemand.

IH: In der 2. Säule sind es Unternehmen, die sich einer Pensionskasse anschliessen. Was kann jemand tun, der nicht bei der Coopera versichert werden kann, weil er eine Einzelperson ist?

MW: Man kann sich auch als Einzelperson bei der CoOpera versichern lassen. Die Stiftungsaufsicht wollte dies zunächst nicht erlauben. Sie wollte nur Kollektive und Betriebe zulassen. Solid’Art als Verband von Selbständigerwerbenden löste das Problem aber.

IH: Besteht bei der Coopera nicht die Gefahr, dass sie die Immobilienspekulation antreibt und unterstützt, da sie Immobilien ebenfalls als Renditeobjekt betrachtet?

MW: CoOpera ging hier zwei Wege. Betriebskredite wurden durch Immobilien abgesichert. Der (soziale oder wirtschaftliche) Zweck des Betriebs stand im Vordergrund. Die Immobilien zu kaufen und dann nur auf deren Rendite zu setzen war nicht der Weg der CoOpera. Aber es trifft schon zu, dass jede Investition in Boden das Prinzip verletzt, dass Boden keine Ware bzw. nicht handelbar ist. (Vergl. Matthias Wiesmann, Mit Vorsorgekapital anders umgehen, Die CoOpera setzt auf Realwirtschaft, Futurum Verlag, 2020)

IH: Das Prinzip der CoOpera ist, keine Börsenspekulation zu unterstützen und stattdessen ausschliesslich auf Immobilien- und Kreditverzinsung zu setzen. Macht sie das sicherer als andere Pensionskassen?

MW: 2008 (im Finanzcrash) hat Coopera im Pesionskassenvergleich die beste Rendite erzielt. Dadurch, dass sie keine Börsenpapiere hatte, war sie auch die nachhaltigste Pensionskasse. Allerdings tendiert jedes massenhafte Aufbewahren von Geld oder anderen Wert-Objekten zur Blasenbildung und damit zu Absturzrisiken. Der erste prominente Börsencrash spielte sich im 18. Jahrhundert in Holland im Rahmen der Spekulation mit Tulpenzwiebeln ab.

IH: Siehst du politische Bemühungen von dem gegenwärtigen Modell weg zu einer vollständigen AHV Lösung zu kommen (dieses Ziel ist ja in der Bundesverfassung festgehalten)?

MW: Ich sehe momentan keine Gruppierungen, die ein solches Ziel anstreben. Wenn man Menschen wie Jaqueline Badran (SP Politikerin) dazu befragen würde, würden diese das wohl schon befürworten. Es existieren jedoch keine politischen Bemühungen, meines Wissens nach, in dieser Richtung. Das Vermögen, das mittlerweile von den Pensionslassen kapitalgelenkt verwaltet wird, hat sich ja seit 1984 noch vervielfacht. Es war damals schon riesig. Entsprechend bestehen riesige Interessen daran, das Geld in den Pensionskassen durch die Kapitalmarktindustrie verwalten zu lassen. Ein Heer von Anlageberatern, Juristen und Verwaltungen lebt davon.

IH: Was würdest du einer heutigen KMU Verbandsinitiative raten, was sie zwecks Assoziierung machen kann?

MW: Im anthroposophischen Kontext weist man gerne auf Projekte bzw. Unternehmen hin, die die Dreigliederung umgesetzt hätten oder wenigstens als assoziativ bezeichnet werden können (beispielsweise Sekem). Solche Zuschreibungen sind immer problematisch, zu Idealisierungen tendierend. Wichtiger wäre, in der ganz konventionellen Wirtschaft Ausschau zu halten nach kooperativen Ansätzen, die es zahlreich gibt, weil die arbeitsteilige Wirtschaft zwangsläufig darauf angewiesen ist und dazu tendiert. «Assoziation» ist keine Erfindung zur Weltverbesserung, sondern eine Tendenz, die der Wirtschaft immanent ist. Die offiziell geförderte Doktrin des Wettbewerbs (eigentlich ein Prinzip des Geisteslebens) hält von der Kooperation ab. Da, wo sich die erwähnte Tendenz geltend macht, etwa entlang von Wertschöpfungsketten, sollten die Bedingungen so ausgestaltet werden, dass sie sich sozial und nicht parasitär auswirken können.

IH: Lieber Matthias, vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast. Als letztes vielleicht: Kannst du uns etwas für unsere Demokratieampel mitgeben, die wir seit drei Jahren auf unserer Homepage zur Verfügung stellen? www.demokratie-schweiz.ch/demokratie-blog/

MW: Ich würde sie vielleicht weniger prinzipientreu (Dreigliederungsprinzipien nach Rudolf Steiner) und mehr pragmatisch ausrichten. Mehr an die politischen Realitäten angepasst, könnte man vielleicht sagen. Vielleicht könnte man sie splitten: Einerseits wäre sie dann pragmatisch formuliert. In einem anderen Abschnitt würde sie ausschliesslich Rücksicht auf die Prinzipien der Dreigliederung nehmen. Ich habe dazu (Beispiel Pragmatismus) mal einen Kommentar in der NZZ veröffentlicht. Der Staat könnte sich im Umweltschutz beispielsweise darauf beschränken, nur Ziele zu formulieren und dann eine Erfolgskontrolle durchführen. Am Beispiel PET-Recycling kann man sehen, wie das funktionieren kann. Hier hat der Staat eine Rücklaufquote definiert, die Branche hat sich selbst organisiert und dann das Recycling erfolgreich realisiert. Nur wenn die Branche die eigenen Ziele nicht erreicht hätte, wäre eine Staatsintervention nötig geworden – ein (pragmatischer) Kompromiss, denn eigentlich hat der Staat im wirtschaftlichen Bereich des Recyclings nichts zu suchen.

IH: Lieber Matthias. Ich danke dir für das konstruktive Gespräch.

Matthias Wiesmann ist vor zehn Jahren altershalber aus dem Stiftungsrat der CoOpera Sammelstiftung PUK und aus dem Verwaltungsrat der CoOpera Beteiligungen AG ausgeschieden, wie nach ihm auch Mitgründer und andere jahrelange Mitglieder dieser beiden Gremien. Ausserdem erfolgte ein Wechsel in der Geschäftsführung. Diese Änderungen führten zu Veränderungen, welche bei einzelnen Aussagen im Interview zu berücksichtigen sind. Aktuelle Informationen sind auf der Website www.coopera.ch zu finden.

1Matthias Wiesmann, Mit Vorsorgekapital anders umgehen, Die CoOpera setzt auf Realwirtschaft, Futurum Verlag, 2020