Leitidee

Ein demokratischer Rechtsstaat, der auf der Grundlage der Gleichheit und der Mündigkeit basiert, hat sich aus diesem Grund zu beschränken und sich der inhaltlichen Bestimmung aller Angelegenheiten zu enthalten, deren Grundlage die individuelle Erkenntnis und die Ausübung der individuellen Fähigkeiten der Menschen ist.

Alle der Schweizerischen Eidgenossenschaft zugehörigen Menschen im volljährigen Alter sind in Rechtsfragen, welche die Schweiz betreffen, als gleich und mündig anzusehen. Vor dem Recht sind alle Menschen gleich und um die menschliche Würde des Einzelnen zu achten, hat jeder Mensch in Rechtsfragen mitzuentscheiden. Nur das demokratische Prinzip ermöglicht es allen Menschen, ihr Rechtsempfinden gleichermassen in die Bildung des Rechtsstaates einzubringen. Die verabschiedeten Gesetze gelten für alle, unabhängig ihrer wirtschaftlichen oder kulturellen Stellung.

Als Rechtsfragen sind alle Fragen zu betrachten, durch welche die allgemein-menschlichen Verhältnisse innerhalb einer Rechtsgemeinschaft geregelt werden. In diesen Fragen gibt es kein individuelles Urteil, welches als massgebend für alle angesehen werden kann. Jeder entwickelt im Zusammenleben mit seinen Mitmenschen ein eigenes Rechtsempfinden und jedes Rechtsempfinden ist als gleichwertig zu betrachten. Auf diesem Empfinden beruht die allgemeine Mündigkeit in Bezug auf Rechtsfragen. Nur dann kann der Mensch seine Würde als geachtet erleben, wenn er weiss, dass sein Rechtsempfinden gleichermassen wie das Rechtsempfinden seiner Mitmenschen in die Rechts- und Staatsbildung einfliesst

Dies gilt z.B. für alle Fragen der inneren Sicherheit, in den mit Hilfe von Gesetzen der einzelne Mensch vor Übergriffen seiner Mitmenschen geschützt werden kann. Auf einem Rechtsempfinden, welches ein allgemein-menschliches Verhältnis betrifft, gründet aber auch das gesetzliche Verbot der Kinderarbeit oder das Recht auf ein Einkommen im Alter. So wie sich in diesen Fragen nach der Einordnung der Arbeit in die Gesellschaft aus dem Rechtsempfinden (beziehungsweise Unrechtsempfinden) gesetzliche Regelungen ergeben haben, so ist dies auf demokratischem Wege für alle allgemein-menschlichen Verhältnisse anzustreben.

In Hinsicht auf geistige Angelegenheiten, d.h. alles was Erziehung, Kunst, Medizin, Religion und Wissenschaft betrifft, ist jeder Mensch einzigartig. Die Menschen stehen auf diesem Gebiet einander mit ihren unterschiedlichen Erkenntnissen und Fähigkeiten gegenüber. Ein demokratischer Rechtsstaat kann in diesem Gebiet, welches auf der Erkenntnis und den Fähigkeiten des Einzelnen basiert, nicht tätig werden, ohne dass die einzelnen Menschen in Fragen mitentscheiden müssen, in denen nicht das allgemeine Rechtsempfinden eine sachgemässe Urteilsgrundlage sein kann.

Dies kann an folgendem Beispiel deutlich gemacht werden: In der Frage nach der richtigen Heilmethode bei einer Krankheit gibt es unterschiedliche Ansätze, die je nach Kontext eine heilende oder auch krankmachende Wirkung haben können. In welchem Fall welche Heilmethode anzuwenden ist, darüber kann kein Rechtsgefühl die Urteilsgrundlage hergeben. Die Kenntnis der spezifischen Situation und die zu diesem Kontext passende ärztliche Fähigkeit sind Voraussetzung für eine aussichtsreiche Heilung.

Ein demokratischer Rechtsstaat, der auf der Grundlage der Gleichheit und der Mündigkeit basiert, hat sich aus diesem Grund zu beschränken und sich der inhaltlichen Bestimmung aller Angelegenheiten zu enthalten, deren Grundlage die individuelle Erkenntnis und die Ausübung der individuellen Fähigkeiten der Menschen ist. Der Einzelne darf, sollen seine Fähigkeiten vollumfänglich der Gesellschaft zugute kommen, in der freien und selbstverantwortlichen Ausübung seiner individuellen Fähigkeiten durch demokratische Beschlüsse, sofern dadurch die Sicherheit und die Rechte der Mitmenschen nicht beeinträchtigt werden, nicht eingeschränkt werden.

In wirtschaftlichen Fragen, die Produktion, Handel und Konsum betreffen, geht es darum, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. In Bezug auf die Frage, wie die Bedürfnisbefriedigung konkret bewerkstelligt werden kann, ist ebenfalls nicht das Rechtsempfinden massgebend und daher nicht alle Menschen gleich urteilsfähig und mündig. Um z.B. die richtige Menge an Milch herzustellen, welcher den Bedarf der Menschen befriedigt und gleichzeitig den Produzenten ein ausreichendes Einkommen ermöglicht, dafür ist die Kenntnis vieler Faktoren notwendig. Hierfür kann die Urteilsgrundlage nur durch den Austausch und die Zusammenarbeit der beteiligten Menschen entstehen.

Ein demokratischer Rechtsstaat, welcher auf der Grundlage der Gleichheit und der Mündigkeit basiert, hat sich daher in wirtschaftlichen Frage darauf zu beschränken, die rechtlichen Verhältnisse und dadurch die gesetzliche Grundlage für die Koordination von Produktion, Handel und Konsum festzulegen. Diese Koordination geschieht am effektivsten durch assoziativen Austausch und vertragliche Vereinbarungen der direkt Beteiligten, in denen die unterschiedlichen Bedürfnisse zu ihrer aller Vorteil berücksichtigt werden. Die zugrunde liegenden rechtlichen Verhältnisse der Menschen können dann dem Rechtsempfinden gemäss so gestaltet werden, dass die in der Wirtschaft tätigen Menschen ihre Aufgabe der Bedürfnisbefriedigung in Wahrung ihrer Menschenwürde erfüllen können.

Die Gleichheit und die Mündigkeit aller Menschen in Bezug auf Rechtsfragen und die Beschränkung darauf ist die aus dieser Betrachtung hervorgehende wirklichkeitsgemässe Grundlage des Schweizer Rechtsstaates. Die Mitglieder der «Fördergesellschaft Demokratie Schweiz» streben in diesem Sinne eine Schweizer Rechts- und Staatsbildung an, in welcher alle Bürgerinnen und Bürger nur in den Fragen, welche die allgemein-menschlichen Verhältnisse, zu denen jeder ein Rechtsempfinden entwickeln kann und in welchen alle volljährigen Menschen gleich und mündig sind, demokratisch mitbestimmen. Sie setzen weiter ihr volles Vertrauen auf die Menschen als zur Selbstverantwortung fähige Individuen, die in Freiheit auf dem Gebiet des Geisteslebens und in assoziativer Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens miteinander leben und tätig sein wollen.

Wir konstituieren uns damit als politisch tätige Gesellschaft, obwohl wir keine Partei ergreifen: Wir ergreifen weder Partei für die Privilegierung einer bestimmten geistigen Haltung, noch setzen wir uns für den wirtschaftlichen Vorteil einer bestimmten Interessensgruppe ein. In allen Rechtsfragen betrachten wir alle volljährigen Bürgerinnen und Bürger als mündig und vertreten daher in diesen Fragen keine Parteilinie. Wir fordern hingegen als politisch tätige Gesellschaft den Rückzug der heutigen (Partei-)Politik aus allen geistigen und wirtschaftlichen Angelegenheiten, um einen demokratischen Schweizer Rechtsstaat, der diesem Namen Rechnung trägt, überhaupt erst entstehen zu lassen.

Zum Hintergrund

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Rudolf Steiner, der Begründer der modernen Geisteswissenschaft, welche heute für ihre medizinischen, landwirtschaftlichen, pädagogischen und weiteren praktischen Errungenschaften weltweit bekannt ist, auf die Notwendigkeit eines sozialen Umdenkens für eine gesunde gesellschaftliche Entwicklung hingewiesen. In Zürich hielt Steiner im Februar und März 1919 mehrere öffentliche Vorträge, in denen er die Idee eines demokratischen Rechtsstaats, eines freien Geisteslebens und eines assoziativen Wirtschaftslebens erstmals vortrug. Mit dem Buch «Die Kernpunkte der Sozialen Frage» stellte er diese Idee danach für die breite Bevölkerung dar.

Die Mitglieder des Initiativ-Kollegiums der „Fördergesellschaft Demokratie Schweiz“ betrachten den von Rudolf Steiner beschriebenen Ansatz, das Geistesleben auf die Freiheit des Individuums, das Rechtsleben auf die demokratische Entscheidungsfindung, und das Wirtschaftsleben auf assoziative Zusammenarbeit zu stellen, heute noch als eine berechtigte und notwendige Forderung. Sie sind aktiv bei der Fördergesellschaft Demokratie Schweiz, weil sie gerade auf dem Feld der Demokratie in der Schweiz die Möglichkeit sehen, in der breiten Bevölkerung für ein Verständnis dieser zeitgeschichtlichen Forderung wirken zu können.

Weiterführende Literatur: