Bedeutung und Folgen der Massentierhaltungsinitiative – aus der Sicht der Dreigliederung des sozialen Organismus

Von Prof. em. Dr. Stephan Rist, Universität Bern und Akademie Freiheit Lebenswerk (https://freiheit-lebenswerk.ch/)

Mit diesem Beitrag stelle ich meine Überlegungen zur Bedeutung und den Folgen einer Annahme der Massentierhaltungsinitiative, aus der Sicht der Dreigliederung zur Diskussion. Wenn wir dem menschlichen Organismus, z.B. ein bisher unbekanntes Nahrungsmittel zuführen, dann möchten wir natürlich wissen, ob es überhaupt als Nahrungsmittel angesehen werden soll und ob es für den Gesamtorganismus förderlich oder schädlich ist. Nur so können wir entscheiden, ob es für den Gesamtorganismus, ein sinnvolles neues Nahrungsmittel ist.

Für die Beurteilung dieser Initiative ist es gleich. Zuerst stellt sich die Frage, ob das Anliegen grundsätzlich zur spezifischen Rolle des Rechtslebens in einem dreigliedrigen sozialen Organismus passt. Wenn dies bejaht wird, ergibt sich die zweite Frage: Welches sind die Folgen einer Annahme der Initiative, für die dringend notwendige Weiterentwicklung des assoziativen Wirtschafts- und des freien Geisteslebens im Landwirtschafts- und Ernährungssektor?

Mit einem guten Mass an Wohlwollen, beantworte ich die erste Frage positiv. Die «Demokratie-Ampel» kann auf Grün gestellt werden. Bei der Abwägung der Folgen der Umsetzung der Initiative auf den sozialen Organismus, komme ich jedoch zu einer klar negativen Bewertung: Die Initiative muss im realen Kontext umgesetzt werden. In diesem sind das Rechts- und Geistesleben weitgehend von übermächtigen Wirtschafts- und Staatsinteressen beherrscht. Um dem entgegenzuwirken, möchte die Initiative, dass der Staat, noch mehr als er das eh schon tut, in die konkrete wirtschaftlich-technische und alltagspraktische Gestaltung der Tierhaltung von tausenden von Bauernbetrieben stark eingreift.

Die Initiative lässt damit ausser Acht, dass sich weder das Geistes- noch das Wirtscha­ftsleben durch Gesetze regeln lassen können. Das Wirtschaftsleben muss sich nach den Gesetzmässigkeiten der Bildung von Assoziationen selbst organisieren und das Geistesleben und die Wissenschaft müssen sich in vollständiger Freiheit und Unabhängigkeit, den Gesetzmässigkeiten ihrer Forschungsobjekte widmen können. Wenn das Rechtsleben diese Prinzipien nicht respektiert, werden die beiden anderen Lebensbereiche, die Demokratie und das Rechtsleben weiter unterwandern und so versuchen, ihre organische Eigenständigkeit zu behaupten. Das Zusammenspiel zwischen Rechts-, Wirtschafts- und Geistesleben, wird so weiter in Richtung des ungesunden Konkurrenzkampfes, anstatt in die Richtung der organischen Kooperation, vorangetrieben. Das steht im offenen Widerspruch mit dem Grundanliegen der Dreigliederung.

Die vorgegebene Umsetzung der Initiative führt zu einem weiteren Wildwuchs der staatlich-wirtschaftlichen und kulturellen Fremdbestimmung in der Land- und Ernährungswirtschaft. Die heutige, im Wesentlichen materialistische, technokratisch und ökonomistisch verstandenen Land- und Ernährungswirtschaft wird so, weder zur Diskussion gestellt, noch werden Wege zu ihrer Überwindung beschritten. Die Folgen die sich aus der Art der Umsetzung, für die dringend notwendige Stärkung und Weiterentwicklung einer assoziativen Wirtschaftsordnung und eines freien Geisteslebens ergeben, beurteile ich mehrheitlich negativ.

Vor diesem Hintergrund lehne ich die Initiative ab. Das bedeutet nicht, dass ich für die Massentierhaltung bin. Ich frage lediglich: Wäre es nicht möglich, die Massentierhaltung, statt über die Schwächung, über die gezielte Stärkung der assoziativen Zusammenarbeit von Produzenten, Händlern, Verarbeitern und Konsumenten des Wirtschaftslebens und der tatkräftigen Unterstützung aus dem freien Geistesleben, in den Griff zu bekommen?

Was will die Massentierhaltungsinitiative?

Die Initiative möchte die Massentierhaltung in der der Schweiz, per Verfassungsartikel verbieten. Dazu soll der Bund Gesetze, Reglemente und Fördermassnahmen ergreifen, so dass es – nach 25 Jahren Übergangsfrist – keine Massentierhaltung mehr gibt. Folgende Aspekte sollen dabei berücksichtigt werden:

  • Tierfreundliche Unterbringung und Pflege mit mehr Platz pro Tier, Einstreu, der Möglichkeit zum Spielen und einer artgerechten Fütterung.
  • Zugang ins Freie mit täglichem Weidegang und langsamer wachsende Tierrassen. Diese dürfen nicht nach ein paar Jahren schon wegen Übernutzung «verschlissen» sein und deshalb der Schlachtbank zugeführt werden.
  • Schonende Schlachtung mit kurzen Transportwegen, besserer Kontrolle des Betäubungsverfahrens und schonende Schlachtmethoden.
  • Maximale Gruppengrösse pro Stall und weniger Tiere pro Hektar Landwirtschaftsfläche.
  • Importvorschriften: Die Initiative fordert, dass importierte Tierprodukte den neuen Schweizer Standards entsprechen müssen.

Als Referenz, sollen die Ausführungen zur artgemässen Tierhaltung des zertifizierten Biolandbaus in der Schweiz dienen (BioSuisse – «Knospe»)

Rechtsleben, Massentierhaltungsinitiative und Dreigliederung

Die Initiative möchte über eine demokratische Entscheidung die Massentierhaltung, verbieten. In Bezug auf die Frage, ob so eine Forderung zum Rechtsleben in einer dreigliedrigen Gesellschaft passt, ergeben sich folgende Aspekte. Auf den ersten Blick ist es nicht evident, warum die Würde des Tieres – verstanden als Abwesenheit der Massentierhaltung – im Rechtsleben verankert werden muss. Dieses soll in erste Linie die allgemeinen Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens zum Ausdruck bringen. Es betrifft deshalb vor allem die gegenseitigen Erwartungen, die jeder einzelne Mensch, gegenüber allen anderen Menschen hat. Inwieweit diese Erwartungen für die Mehrheit der Menschengemeinschaft sinnvoll sind, wird über den demokratischen Prozess entschieden. Solche Festlegungen betreffen z.B., allgemeine Menschenrechte, die Gewährleistung von Sicherheit, die Verteidigung der nationalen Souveränität oder die Regelung der maximalen Arbeitszeit von Menschen die im Wirtschaftsleben tätig sind. Dazu braucht es demokratisch vereinbarte Institutionen, die vom Rechts- und Staatsleben ausgeführt werden.

Es stellt sich damit die Frage: Was hat die Regulierung der konkreten Art der Haltung von Tieren, mit den gegenseitigen Erwartungen der Menschen, der Gewährleistung von innerer Sicherheit oder nationaler Souveränität in der Schweiz zu tun? Die Antwort darauf fällt schwer. Aber, durch die Tatsache, dass es sich um eine allgemein menschliche Haltung gegenüber von Haustieren handelt, die ohne die Koevolution mit uns Meschen nicht mit uns wären, lässt sich ein Bezug zu allgemein menschlichen Grundwerten herstellen: Als Wesen der Koevolution und vor allem auch über die Ernährung, wurden die Tiere, Teil der menschlichen Gemeinschaft. Wie wir sie halten, hat nicht nur einen Einfluss auf die Haustiere. Als Wesen einer gemeinsamen, biologischen und seelisch-geistigen Geschichte und Verbundenheit, wird die Art ihrer Haltung, auch zu einem Teil des Umgangs unter uns Menschen. Es ist vergleichbar mit Kindern. Die wären ohne die Präsenz von Eltern auch nicht da. Aber trotzdem zählen deren Recht auf freie Bildung und Entfaltung durch die selbstorganisierte Erziehungsarbeit von Eltern, freien Schulen und Universitäten, zum Rechtsleben in einer dreigliedrigen Gesellschaft.

Auch wenn mich, vor allem die Art der Formulierung der Initiative, nicht restlos von deren Relevanz überzeugt, kann ich mit einigem Wohlwollen, davon ausgehen, dass ein Verbot der Massentierhaltung eine Frage darstellt, die zum Rechtsleben in einem dreigliedrig verstandenen sozialen Organismus passt.

Negative Folgen der Umsetzung der Initiative

Nach der Bejahung, der Behandlung des Grundanliegens der Initiative durch das Rechtsleben, stellt sich die Frage, nach den Folgen der Umsetzung der Forderung des Verbotes der Massentierhaltung im Rahmen der gegenwärtig, stark überbordenden Fremdbestimmung der Land- und Ernährungswirtschaft.

Ein erster kritischer Aspekt betrifft die Definition der «Massentierhaltung». Als Massentierhalter werden alle Landwirtschaftsbetriebe verstanden, welche die BioSuisse-Richtlinien (Version von 2018) nicht erfüllen. Im Vergleich zu heute, sind beim privaten Label von BioSuisse, deutlich grössere Stallflächen pro Tier und mehr Aus- und Freilauf vorgeschrieben. Die maximale Anzahl Tiere pro Stall, der Höchstbesatz von Tieren pro Hektare Landwirtschaftsfläche, sind geringer. Die nicht weiter definierten Maximen der «dezentralen Schlachtung» und der Orientierung der Tierzucht an der Lebensleistung, statt an der Maximalleistung, sind weitere Forderungen, die der Staat umsetzen müsste.

Die gegenwärtige Hühnerhaltung wäre von der Initiative am stärksten betroffen. Auch einige, grössere Schweinezüchter müssten ihre Haltung stark umstellen. Bei der Kuh- und Rindhaltung würde es nur bei wenigen Betrieben zu kleineren Anpassungen kommen. Insgesamt würden ca. 3300, oder rund 7% aller Tierzuchtbetriebe von den Anpassungen betroffen. Auf den ersten Blick scheint das alles, sowohl ethisch als auch wirtschaftlich, mach- und verkraftbar.

Aus der Sicht der Dreigliederung ist es jedoch nicht sinnvoll, einige technisch-ökonomische Aspekte der Tierhaltung, aus dem Gesamtzusammenhang des sozialen Organismus herauszulösen, um sie separat zu regeln. Das Problem der Massentierhaltung sollte ganzheitlich gelöst werden. Dazu braucht es ein dynamisches Wechselspiel der assoziativen Wirtschaft und des freien Geisteslebens. Aus der ganzheitlichen Sicht der Dreigliederung, stellt sich deshalb folgende Frage: Wie trägt die Umsetzung der Initiative dazu bei, das für die Landwirtschaft allumfassend und übergriffig gewordene Rechtsleben, auf ein sozial gesundes Mass zu reduzieren?

Das Stellen dieser Frage ist deshalb notwendig, da die gegenwärtige Agrarpolitik das Leben der Menschen im Land- und Ernährungssektor, bis in die letzten Details vorgibt. Die Selbstorganisation und das eigenständige Übernehmen der Verantwortung in Assoziationen werden damit systematisch behindert. Produzenten, Händler, Verarbeiter und Konsumenten, haben so kaum mehr Spielraum und Motivationen, um neue Assoziationen zu bilden. In der Folge treffen sie sich kaum mehr auf gleicher Augenhöhe. Sie lassen ihre lebendigen sozialen Beziehungen durch das undurchsichtige, kalte und gewinnorientierte Spiel von «Angebot und Nachfrage» verkümmern. So wird verhindert, dass die Assoziationen selbstständig herausfinden, wie sie die Grundbedürfnisse von Menschen, Tieren, Pflanzen und der Umwelt so in das Wirtschaftsleben integrieren, dass alle Ansprüche angemessen berücksichtigt werden können.

In der Entwicklung des assoziativen Wirtschaftslebens, gibt es naturgemäss viele offene Fragen, die von den Assoziationen allein, nicht geklärt werden können. Diese offenen Fragen, sind die Schnittstelle des Wirtschaftslebens mit dem freien Geistesleben: Die unabhängige, freie und ganzheitliche Wissenschaft kann – über die Zusammenarbeit mit den Assoziationen – helfen, solche Fragen zu klären.

Das Gesamtbild: Landwirtschaftliche Grundfragen aus der Sicht der Dreigliederung

Mit anderen Worten geht es darum, den Bildausschnitt der «Tierhaltung» wieder in das Gesamtbild der Herausforderungen einzubetten, vor denen die Schweizer Landwirtschaft aus der Sicht der Dreigliederung steht. Damit dies möglich wird müssen wir wissen, welches die Grundfragen für einen radikalen Umbau der Schweizer Landwirtschaft, aus der Sicht der Dreigliederung sind. Bei der Beantwortung dieser Frage, werden wichtige Aspekte sichtbar, welche zur Beurteilung der Folgen der Initiative hinzukommen müssen. Aus der Einordnung der Initiative in das Gesamtbild, ergeben sich gute Gründe, um die Initiative abzulehnen. Welches sind die Grundherausforderungen vor denen die Schweizer Landwirtschaft, aus der Sicht der Dreigliederung steht?

Zwei erste Grundfragen betreffen das Wirtschaftsleben des Landwirtschafts- und Ernährungssektors. Die erste Grundfrage lautet: Wie kommen wir im agri-kulturellen Zusammenhang zu einer sachgemässen, nicht gewinn-, sondern bedarfsorientierten Preisbildung? Das bedeutet herauszufinden, wie wir über die assoziative Verbindung von Produzenten, Händlern, Verarbeitern und Konsumenten, zu einer lebens-gerechten Preisbildung kommen. Dabei steht der Bedarf aller Menschen, Tiere, Pflanzen und weiterer Lebewesen an Lebensmitteln und Lebensräumen, im Zentrum der Verhandlungen.

Das wirtschaftliche Handeln darf sich im assoziativen Wirtschaftsleben nicht mehr an der finanziellen Entschädigung für die in die Herstellung, den Handel oder die Verarbeitung investierte Arbeit orientieren. An die Stelle des Arbeitsverdienstes oder Lohnes, tritt die Deckung des Bedarfs an Einkommen zu einem «menschenwürdigen Leben». Die Arbeit ist also keine Ware mehr, die jeder Produzent, Händler und Verarbeiter an den Meistbietenden verkaufen muss. Die Arbeit ist die Summe der individuellen Fähigkeiten, jedes Mitgliedes einer Assoziation. Der Einsatz der Fähigkeiten, z.B. eines Bauern für die Herstellung von Lebensmitteln für eine bestimmte Gruppe von Konsumenten, Händlern oder Verarbeitern, ist die Voraussetzung für seine eigene Bedarfsdeckung: In der der gemeinsamen, assoziativ vorgenommenen Preisgestaltung, gestehen die Konsumenten, Händler und Verarbeiter dem Bauern Preise zu, die es ihm erlauben, seinen eigenen Bedarf zu decken. Gelichzeitig müssen assoziativ ausgehandelte Preise sicherzustellen, dass der Bauer den Bedarf Nahrungsmitteln auch in Zukunft decken kann.

Preisverzerrungen über staatliche Subventionen und Direktzahlungen, oder die Ausbeutung der Landwirtschaft durch ausserlandwirtschaftliche Bodenspekulanten und gewinn-orientierte private Wirtschaftskonzerne, sind Gift im assoziativen Wirtschaftsleben. Sie müssen deshalb über das selbstbestimmte Zusammenwirken der Akteure im assoziativen Wirtschaftsleben überwunden werden

Eine zweite Grundfrage im assoziativen Wirtschaftsleben betrifft eine Situation, die vor 100 Jahren, als die Dreigliederung formuliert wurde, noch kein spezielles Merkmal der Landwirtschaft in der Schweiz war: Die Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft ging von 1900 bis heute, von 31% auf 1.5% zurück. Die bewirtschaftete Fläche blieb ungefähr gleich gross. Dies war nur möglich durch eine enorme Zunahme der Mechanisierung, der Verwendung von Kunstdüngern, Pestiziden, Futtermittelimporten und der Konzentration des Anbaus in immer weniger, aber dafür grösseren Betrieben. Dieses als «Strukturwandel» bezeichnete «Bauernsterben», führte dazu, dass der Einfluss von grossen, transnationalen Industriekonzernen und Banken auf die Landwirtschat enorm gross wurde. Firmen wie Syngenta, Nestle, Cargill, Dreyfuss, Walmart, aber auch Migros, Coop Aldi, Lidl etc.) und die Finanzwirtschaft, haben so erreicht, dass ihnen aus der Land- und Ernährungswirtschaft, jährliche Gewinne in Milliardenhöhe zufliessen.

Damit Landwirtschaft der Industrieländer auf dem Weltmarkt bestehen kann, erhalten sie enorme staatliche Unterstützungsbeiträge. In der Schweiz sind es gegenwärtig knapp 3 Milliarden Franken pro Jahr, welche als Direktzahlungen und andere Unterstützungen an die Bauernbetriebe gehen. Die volkswirtschaftlichen Kosten, welche auch die Kosten von Zollschutz und Umweltschäden der Landwirtschaft berücksichtigen, werden auf rund 20 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt. Zwischen 45-90% der landwirtschaftlichen Einkommen kommen heute – je nach Lage und Struktur eines Betriebes – aus staatlichen Quellen. Der Einkommensanteil, der am Markt verdient wird, nimmt jährlich ab.

Daraus ergibt für das assoziative Wirtschaftsleben eine problematische Situation: Produzenten, Händler, Verarbeiter und Konsumenten, sind gefangen in einem unüberschaubar gross gewordenen Netz von engmaschigen, wirtschaftlichen und ökologischen Regulierungen. Über diese Regulierungen greift das Rechtsleben in praktisch alle Belange des Wirtschafts- und Geisteslebens ein. Die tausenden von Vorschriften müssen von jedem einzelnen Bauer, Händler oder Verarbeiter erfüllt werden. Daraus ist ein kolossaler staatlichen Verwaltungsapparat entstanden. Bei Bund und Kantonen kontrollieren ein Heer von fast 2000 Vollzeitarbeitsstellen die Einhaltung all dieser Regeln.

Damit ist der Ernährungssektor defacto unter staatliche Kontrolle geraten. Die Nahrungsproduzenten, richten ihr wirtschaftliches Handeln, nicht am Bedarf der mit ihnen verbundenen Menschen aus, wie es gemäss dem primären Grundsatz des assoziativen Wirtschaftslebens sein sollte. Die Bauernfamilien, Verarbeiter und Händler werden durch den Staat gezwungen, diejenigen Produkte herzustellen, die von der staatlichen Produktionslenkung vorgegeben werden. Durch Direktzahlungen, Kredite, Produktionsquoten, Verarbeitungsbeiträge, Zollbestimmungen etc., werden Bauern, Verarbeiter, Händler und indirekt auch die Konsumenten, zu Erfüllungsgehilfen, der staatlich geplanten, koordinierten und finanzierten Landwirtschaftsstruktur.

Aus diesem Grund ist es aus der Sicht der Dreigliederung eine grosse Herausforderung das überbordende und übergriffige Rechtsleben zu verkleinern. Das ganze heutige Rechtsleben muss aus der Sicht der Dreigliederung, überprüft werden. Dort wo es in das Wirtschafts- oder Geistesleben eingreift, ohne dass es sich um allgemeinmenschliche Belange handelt, muss die entsprechende Aufgabe vom Rechtsleben an das assoziative Wirtschaftsleben oder an das freie Geistesleben übertragen werden. Nur so kann das Rechtsleben dazu beitragen, der assoziativen Wirtschaft und dem freien Geistesleben, Raum zur eigenständigen Entwicklung zu schaffen.

Die Entwicklung von Assoziationen im Landwirtschafts- und Ernährungssektor ist damit von besonderer Bedeutung. Ohne diese, würde der Abbau staatlicher Regulierungen, den Weg in eine neoliberale Wirtschaftsordnung ebenen. Das würde in offenem Widerspruch mit der Dreigliederung stehen, denn das assoziative Wirtschaftsleben sieht sich als die lebensbejahende Alternative zum Neoliberalismus oder Marktfundamentalismus. Viele der heute durch den Staat definierten Vorgaben für eine menschen- und umweltgerechte Land- und Ernährungswirtschaft, müssen in Zukunft aus den Assoziationen heraus in das Wirtschaftsleben eingebracht werden. Nur so ist die radikale «Entschlackung» des Staates, nicht ein neoliberaler «Schuss ins eigene Knie». Ohne Assoziationen, gibt es keine geeignete Grundlage für die Umgestaltung der Land- und Ernährungswirtschaft im Sinn der Dreigliederung.

Bei der Realisierung dieses Grundsatzes, spielen die vielen – meist noch kleinen- Initiativen der assoziativen Verbindung von Produzenten, Händlern, Verarbeitern und Konsumenten, eine wichtige Rolle. Jenseits der manipulativen Preisbildung über «Angebot und Nachfrage», können in solchen Assoziationen, die Bauern mit Händlern, Verarbeitern und Konsumenten bedarfs-gerechte Preise festlegen.

Das geht jedoch nur gut, wenn der Einfluss durch Bodenspekulanten, intransparenten Machtverhältnissen von Kartellen, oder von Staatsinterventionen, neutralisiert werden kann. Ein erster Ausweg aus der wirtschaftlichen Fremdbestimmung über Staat und Lebensmittelkonzerne, ist im Biosektor entstanden. Anfänglich traf der Biosektor auf grosse Schwierigkeiten. Die Entwicklung und Förderung eines menschen-, tier- und pflanzengerechten Landbaus, wurde als Gegenentwurf zur «modernen agrarindustriellen», staatlich geförderten Landwirtschaft, zuerst behindert und dann bekämpft. Dies führte dazu, dass sich Bauern, Händler, Verarbeiter, Konsumenten und Biolandbauforscher, assoziativ und selbstorgansiert, für den Aufbau eines eigenen Wirtschaftslebens und der freien Bioforschung eingesetzt haben. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu wissen, dass die Richtlinien von BioSuisse, vor allem in der langen Anfangsphase, ein gutes Beispiel sind, für die Wirksamkeit der erfolgreichen, assoziative Zusammenarbeit von Biobauern, Verarbeitern, Händlern und Biokonsumenten. In der Form der assoziativ entwickelten Richtlinien, wurden die Kriterien für die Biolandwirtschaft und die damit verbunden Tierhaltung definiert. Sowohl Produzenten, Händler als auch Konsumenten, begannen sich daran zu orientieren. Die Richtlinien sind assoziativ entstanden, lange bevor der Staat, den Biolandbau zu unterstützen begann.

Drei weitere Grundfragen betreffen das Rechtsleben. Dort stellt sich die «Bodenfrage», die Frage nach der Befreiung der Bauernbetriebe aus der Schuldenfalle, sowie die Regulierung der maximalen Arbeitszeit, welche die Menschen als Mitglieder des Wirtschaftslebens, leisten müssen. Die Lösung der ersten beiden Fragen, ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung einer assoziativ organisierten Land- und Ernährungswirtschaft.

In Bezug auf die «Bodenfrage» müssen die Bürger im demokratischen Prozess Folgendes herausfinden: Durch welche rechtlichen Einrichtungen kann verhindert werden, dass der Boden weiterhin zur handelbaren Ware degradiert wird? Bei dieser Frage geht es um die Neutralisierung des privaten oder staatlichen Besitzes an Boden. An die Stelle von Besitzrechten auf Landwirtschaftsboden, treten gemeinschaftlich verwaltete Nutzungsrechte.

Die Lösung der «Bodenfrage» geht einher, mit der Befreiung der Landwirtschaft aus der Zins- und Verschuldungsfalle. Ohne dies ist es unmöglich, die Allianz von Bodenspekulanten, privaten und staatlichen Kreditgebern zu brechen. Diese verzerren und manipulieren die Kosten und Preise der agri-kulturellen Produktion und verteuern sie zu ihren eigenen Gunsten. Es ist wichtig, das erschreckende Ausmass der Schuldenfalle in der Landwirtschaft zu kennen: Der Gesamtschuldenberg, auf dem die Schweizer Landwirtschaft im Jahr 2021 sass, ist 35 Milliarden Franken «hoch». Pro Jahr bezahlen die Landwirte über 520 Millionen Pachtzinsen. Dieser enorm hohe Beitrag fliesst als «arbeitsloses Einkommen» an Bodenbesitzer ab, die keine aktive Rolle mehr in der Landwirtschaftsproduktion spielen.

Die dritte Grundfrage betrifft die Regelung der maximalen Arbeitszeit durch das Rechtsleben. Die Regulierung der Arbeitszeit ist ein zentrales Postulat der Dreigliederung. Durch die Festsetzung der maximalen Arbeitszeit im Rechtsleben, soll erreicht werden, dass die menschliche Arbeit von ihrem Warencharakter erlöst wird. Solange Menschen, die im Landwirtschafts- und Ernährungsbereich tätig sind, ihre Arbeitskraft die Besitzer von Land, Häusern, Ställen, Maschinen, Lagerhallen, Fabriken, Transportmittel oder Nahrungsmittelgeschäften, verkaufen müssen, bleiben sie abhängig und fremdbestimmt. Die Mitglieder Land- und Ernährungswirtschaft sind ohne die Lösung der «Bodenfrage» nicht in der Lage, ein selbstverwaltetes und autonomes assoziatives Wirtschaftsleben aufzubauen.

Gute, praktische Anknüpfungspunkte zur Lösung dieser Fragen, bieten die freiwillige Umwandlung von Privat- und Staatsbesitz von Landwirtschafsböden in Institutionen, welche den Boden von seinem Warencharakter erlösen. An die Stelle von Besitzrechten treten gemeinsam verwaltete Nutzungsrechte. Wie das gehen kann, wird zurzeit ausprobiert. Beispiele sind Boden-Treuhandgesellschaften, Stiftungen oder anderen Formen von Verantwortungseigentum.  Über die Mobilisierung von Leih- und Schenkungsgeldern aus dem assoziativen Wirtschaftsleben, werden die neuen – jetzt nutzungsrechtbasierte – Betriebe aus dem Landwirtschafts- und Ernährungsbereich, von ihrer erdrückenden Schuldenlast befreit.

Eine nächste Grundfrage betrifft das freie Geistesleben. Dies ist der Lebensbereich, aus dem neue ganzheitliche – nicht materialistisch oder reduktionistische – Welt-, Menschen-, Tier- und Pflanzenanschauungen entstehen müssen. In Zusammenarbeit mit dem assoziativ organisierten Wirtschaftsleben, muss eine wirklichkeitsgemässe «Agri-Kultur» entwickelt werden. Dabei müssen die Bedürfnisse von Körper, Seele und Geist, aller Lebewesen – inklusive der Haustiere – in ein dynamisches Zusammenwirken des selbstbestimmten Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben gebracht werden.

Vor diesem Hintergrund wird klar: Bei der gegenwärtigen Definition von Massentierhaltung, handelt es sich um eine nicht fertig entwickelte Idee. Es handelt sich um eine erste, vorwiegend auf die körperlichen Bedürfnisse fokussierten Sicht auf das Tier, auch in den Richtlinien von BioSuisse. Deshalb handelt es sich bei den Richtlinien um Fläche pro Tier, maximale Gruppengrösse etc. Welches die speziellen seelisch-geistigen Bedürfnisse sind, die zusätzlich berücksichtigt werden müssten, kann mit der gegenwärtigen, technisch-wirtschaftlich und materiell orientierten, staats- und konzernnahen Wissenschaft, nicht schlüssig beantwortet werden.

Die seit 100 Jahren praktizierte Agri-Kultur der biodynamischen Landwirtschaft stellt einen geeigneten praktischen Ausgangspunkt für die Lösung dieser Grundfrage dar. Die biodynamische Agri-Kultur basiert auf dem «lebendigen Denken». Dieses Denken, ist nicht identisch mit dem rationalen, logisch-intellektuellen Denken der heutigen Wissenschaft, Politik und dem Alltagsleben vieler Menschen. Das lebendige Denken ist ein dynamisches Wechselspiel aus Wahrnehmungen (äussere und innere), Denken, Fühlen und Wollen. Dieses neue, lebendige Denken erlaubt die Überwindung des materialistischen Welt- und Menschenbildes, das sich in der agroindustriellen Landwirtschaft und Massentierhaltung ausdrückt.

Massentierhaltungsinitiative und Neuordnung der Landwirtschaft im Licht der Dreigliederung

Wie sehen die Folgen der Umsetzung der Initiative aus, wenn wir sie in das Gesamtbildes der Herausforderungen für die Schweizer Landwirtschaft, aus der Sicht der Dreigliederung, einordnen?

Behinderung der Entwicklung eines assoziativen Wirtschaftslebens

Ein erstes Problem ergibt sich daraus, dass der Staat, über das Rechtsleben, noch stärker in die Strukturen des Wirtschaftslebens im Ernährungssektor eingreift. Der Staat müsste – einmal mehr – jedem Bauernbetrieb vorschreiben, wie viel Stallfläche jedes Tier mindestens haben muss, wie lange und wie oft die Tiere Auslauf haben müssen, wie viele Tiere jeder Betrieb pro Hektare maximal halten darf, welche Tierrassen gehalten werden dürfen und welche Zuchtziele die Tierzüchter verfolgen sollen. Durch die beträchtlichen finanziellen Mittel, welche für den Umbau der betroffenen Betriebe und Ställe gebraucht würden, würde die Verschuldung und staatliche Abhängigkeit der Landwirtschaft, für die kommenden 25 Jahre noch mal grösser.

Mit der Rückweisung der Initiative stellt sich folgende Frage: Wie kann erreicht werden, dass auch die 7% der Betriebe, welche jetzt noch nicht nach den Richtlinien von BioSuisse produzieren, ihre Haltungssysteme anpassen? Das muss nicht notwendigerweise vom Rechtsleben geregelt werden. Dies könnte auch über die assoziative Zusammenarbeit der 93% Bauern, Händler, und Konsumenten geschehen, die jetzt schon ohne Massentierhaltung arbeiten. In einem Zeithorizont von 25 Jahren, wie er von der Initiative vorgesehen sollte es möglich sein, die Massentierhaltung über die konzertierte Aktion von fortschrittlichen Bauern, Händlern, Verarbeitern und Konsumenten und den «Rückständigen» aus der Welt zu schaffen. Diese Strategie, würde bedeuten, dass das assoziative Wirtschaftsleben nicht weiter behindert, sondern durch die konzertierte Aktion weiter aktiv gefördert würde.

Ignoranz der Notwendigkeit eines freien Geisteslebens

In der Praxis führt jede Initiative zu einem Bundesgesetz. Dazu delegiert das Rechtsleben (bei uns der Bundesrat, das Bundesamt für Landwirtschaft und das Parlament), die Ausarbeitung der Kriterien für die neuen Haltungsformen, an Wissenschaftsexperten in den staatlich beaufsichtigten Forschungsanstalten. Diese sind zwar Teil des Geisteslebens. Wegen der staatlichen Aufsicht der Wissenschaft und der von ihr selbst gewählten Orientierung an einem materialistischen und ökonomistischen Menschen-, Tier- und Weltbild, ist diese Wissenschaft weder ganzheitlich noch frei. Sie kann die, für ein freies Geistesleben wichtige Rolle der Entwicklung einer ganzheitlichen Sicht auf Körper, Seele und Geist von Menschen, Tieren, Pflanzen und sonstigen Lebewesen, nicht übernehmen.

In der Praxis bedeutet dies, dass unter dem Stichwort der «Würde des Tieres» eigentlich nur die Bedürfnisse des Tierkörpers, und nicht seine Ganzheit aus Körper, Seele und Geist behandelt werden. Eine ganzheitliche Sicht auf das Tierwesen, braucht deshalb den Beitrag einer holistischen Wissenschaft, die sich nur aus einem freien Geistesleben heraus entwickeln kann. Aus der Sicht der Dreigliederung, kann die Klärung der ethisch-kulturellen Frage nach dem ganzheitlichen Wesen des Tieres, als «joint venture» der freien Wissenschaft und den Assoziationen aus dem Wirtschaftsleben angesehen werden.

Vermischung von Rechtsleben und assoziativem Wirtschaftsleben

Die von der Initiative vorgeschlagene Verwendung der Tierhaltungsrichtlinien von BioSuisse ist gut gemeint. Aus der Sicht der Dreigliederung ist sie aber schädlich. Diese Richtlinien sind ein Beispiel einer, ansatzweise gut gelungen Assoziation. Vor allem während ihrer Entstehung, wurden die Biorichtlinien, in enger Zusammenarbeit von Biolandwirten, Biohändlern, Verarbeitern und Händlern (Wirtschaftsleben) und der Unterstützung einer unabhängigen Wissenschaft (freies Geistesleben) ausgearbeitet. Sie zeigen, dass die assoziative Zusammenarbeit, ohne Eingriffe staatlicher Stellen oder privater Konzerne, in der Lage ist, menschen- und umweltgerechte Neuerungen hervorzubringen.

Die Integration der Tierhaltungsrichtlinien von BioSuisse in das Rechtsleben, nimmt ihnen den assoziativen Charakter. Sie führt zur Vermischung der assoziativ entwickelten Biorichtlinien mit dem Rechtsleben. Das autonome, bisher recht gute Zusammenspiel, des assoziativen Wirtschaftslebens im Biobereich, wird der Überdominanz des Staates geopfert. Aus diesem Grund steht die Initiative ebenfalls im Widerspruch mit den Grundprinzipien der Dreigliederung.

Aus dem assoziativen Wirtschaftsleben hervorgehende Richtlinien, haben ausserdem den Vorteil, dass sie konstant und assoziativ, d.h. unabhängig von Staat und Konzerninteressen weiterentwickelt werden können. Sie können so dem jeweiligen Wissensstand der unabhängigen Biolandbauforschung, dynamisch angepasst werden. Die so selbst hervorgebrachten Regeln für eine tiergerechte Landwirtschaft, haben noch einen weiteren Vorteil: Sie unterliegen keiner wissenschaftlichen Prüfung, durch die staatsnahe, materialistisch und konzernorientierte Wissenschaft.

Das Verständnis von dem, was die Würde des Tieres an konkreten Massnahmen im Bereich der Tierhaltung, Fütterung, Gesundheitspflege, Futterbau und humanem Umfeld braucht, wird so über den Kulturfortschritt der Mitglieder der Assoziationen im Wirtschaftsleben  bestimmt – und nicht mehr durch das Rechtsleben, von oben herab verordnet. Auch dies ist im Einklang mit der Dreigliederung und der mit ihr eng verbundenen Philosophie der Freiheit. Aus beiden Blickwinkeln ist das menschliche Handeln aus Einsicht in die Bedürfnisse, und aus der Liebe zur Individualität des Gegenübers, eine zentrale Aufgabe von Wirtschafts-, Geistes- und Rechtsleben. Nur über die Zusammenarbeit der drei selbstverwalteten Lebensbereiche, können die grossen Menschheitsaufgaben angegangen werden.

Schlussbetrachtung: Vom Bildausschnitt zum Gesamtbild

Aus meiner Sicht der Dreigliederung bringt die Initiative wenig positive Veränderungen. Das Grundanliegen der gesetzlichen Verankerung der Würde der Tiere ist rechtlich bereits in zwei Gesetzen festgeschrieben. Dass diese Gesetze für rund 7% der Tierhalter noch nicht greifen, ist natürlich ein Problem. Ob dieses Vollzugsproblem, durch noch ein neues Gesetz gelöst werden kann, ist fraglich. Anstatt, das Rechtsleben noch übergriffiger zu machen, sollte das selbstorgansierte assoziative Wirtschaften und die freie Wissenschaft und Forschung gestärkt werden. Die bestehenden Richtlinien von BioSuisse zeigen, dass die assoziative Wirtschaft durchaus in der Lage ist, neue Formen der Land- und Ernährungswirtschaft voranzutreiben, die viel weiter gehen, als das was gegenwärtig rechtlich festgeschrieben ist.

Vor diesem Hintergrund ist die Initiative eine falsche Weichenstellung. Aus der Sicht der Dreigliederung, geht sie keine der grossen Herausforderungen der Landwirtschaft an. Sie schreibt die gegenwärtige Kolonisierung des Wirtschafts- und Geisteslebens, durch das von Staats- und Konzerninteressen vereinnahmte Rechtsleben einfach fort. Die Neuordnung der Land- und Ernährungswirtschaft, als Teil des dreigliedrigen sozialen Organismus rückt damit, noch ein Stück weiter in die Ferne.